Mit seinem Tod verliert die internationale Modewelt einen ganz Großen.
Mit 85 Jahren fand das erfüllte Leben von Karl Lagerfeld sein plötzliches Ende. Alle verbalen und sich selbst übertreffenden Attribute, die für den verstorbenen Modedesigner Karl Lagerfeld gefunden wurden, vermögen nur annähernd die Persönlichkeit und das Wesen dieses Menschen zu beschreiben. Wenn wir uns an die Mode-Ikonen erinnern, die uns bereits verlassen haben – wie Dior, Versace oder Yves Saint Laurent und Coco Chanel – erscheinen vor unserem geistigen Auge die Kollektionen, die Visionen der Künstler: Die wunderschönen Ballkleider von Dior, die prachtvollen Designs von Versace oder die klassischen Linien von Yves Saint-Laurent, der bei seinem Tod eher als tragische Figur dargestellt wurde, und das weltbekannte Logo CC von Chanel. Bei dem Namen Karl Lagerfeld aber sehen wir spontan ihn selbst – den Eitlen, den Großen, den Reformer, den Unverwechselbaren, den Spöttischen – eben KL. In all seinen Kreationen zeigte er seine Vorliebe für klare Linien, perfekte Formen und Farbgebung – sei es in der Mode, bei Parfüm, Handtaschen oder Accessoires. Er liebte es, Frauen attraktiv erscheinen zu lassen, die Weiblichkeit und Schönheit der Trägerinnen durch seinen unverwechselbaren Stil zu unterstreichen. Aber: „Eine Frau ohne Stil hat auch in einem Kleid mit Stil keinen Stil.“, meinte KL.
Überall ist jetzt ausführlich sein Lebens- und Karriereweg nachzulesen, der eigentlich von Hamburg bis Paris gar nicht so spektakulär war, auch wenn ihn sein Weg über Pierre Balmain, Jean Patou, Chloé und Fendi zu seinem größten Erfolg führte: Er bekam die Gelegenheit, das berühmte Modelabel Coco Chanel noch berühmter und einzigartiger zu machen. Seit 1983 war er bis zum Schluss Chefdesigner des Hauses Chanel und prägte einen unverwechselbaren Stil. Wenn seine Kleider auch stets Kunstwerke waren, das größte, beste und außergewöhnlichste Gesamtwerk aber blieb er selbst: Karl der Große, Karl Lagerfeld. Nur in seinen anscheinend so nebenbei zitierten Sprüchen, die uns jetzt in geballten Zitatensammlungen hingeworfen werden, finden sich viele seiner ehrlichen Meinungen wieder, ebenso die oft bösartigen Beurteilungen anderer Menschen. Möglicherweise liebte er die Menschen gar nicht so sehr, sondern war am liebsten mit sich und seinen Büchern allein. „Ich liebe es, wenn ich meine Bücher anschauen kann – blättern und lesen, Notizen machen, zwischendurch vor mich hinträumen, zeichnen und schlafen und überhaupt nicht wissen, wie spät es ist!“ Karl Lagerfeld schien seine Einsamkeit zu pflegen er umgab sich ungern mit falschen Freunden, tat aber alles für diejenigen, die ihm am Herzen lagen oder seine Hilfe brauchten. „Einsamkeit ist Voraussetzung für Erfolg.“ Karl Lagerfeld schaffte es immer wieder, die Modewelt mit seinen phantasievollen Kreationen zu überraschen, die er in ebenso außergewöhnlichen Welten präsentieren ließ.
Vieles war nicht „seine Welt“ – zu laut, zu modern, zu dumm, zu oberflächlich. Vielleicht hat er jetzt die für ihn passende Welt gefunden, in der unverfälscht, echt authentisch und er selbst sein kann. Ich stelle ihn mir in einem großen Raum vor, umgeben von tausenden von Büchern, mit einem gespitzten Bleistift seine Eindrücke auf fliegenden Blättern festhaltend, während er darauf wartet, dass seine geliebte Katze Choupette zu ihm kommt, ihn mit ihren blauen Augen ansieht, und sie beide nonverbal philosophieren. Über die Welt, die sie hinter sich gelassen haben, und eben die andere Welt von KL (und Choupette), die uns immer verborgen geblieben ist. Niemand wie er konnte so spöttisch und süffisant lächeln, so treffend und zugespitzt formulieren, manchmal verletzend und skizzenhaft urteilen oder so vielsagend schweigen. Ich sehe ihn spöttisch über seinen Brillenrand schauen, uns ein leichtes Lächeln gönnen und liebevoll hanseatisch sagen: „Nu seht mal zu, wie Ihr klarkommt!“ Das wird schwer, aber die Erinnerung an den großen Karl Lagerfeld und sein grandioses Lebenswerk werden uns dabei helfen, ihn nicht zu vergessen. RIP.
© Heide Brandes/Fashion Guide Magazin